„Was für eine Ironie, dass ich – ein Mädchen, das immer für sich selbst entscheiden wollte – mir nun nichts sehnlicher wünschte, als mich einfach dem Schicksal ergeben zu können.“
In dem Märchenretelling „Die sechs Kraniche“ von Elisabteh Lim geht es um das Erwachsenwerden und das Lernen, Verantwortung zu übernehmen in einer Welt, in der schon alles vorbestimmt zu sein scheint. Elizabeth Lim verflechtet das Märchen „Die sechs Schwäne“ der Gebrüder Grimm mit asiatischen Legenden und verleiht so dem Ganzen eine magische und spannende Atmosphäre.
Shiori ist eigensinnig, gerissen und rebellisch – und die Prinzessin des Kaisers. Schon seit sie klein ist, ist sie einem Lord aus dem Norden versprochen, was Shiori nicht gefällt. Sie will nicht von zuhause weg, denn das Wichtigste in Shioris Leben ist ihre Familie: ihre sechs Brüder und ihr geliebter Vater. Ihre Stiefmutter dagegen ist kühl, abweisend, wunderschön und hat, in Shioris Augen, etwas zu verbergen. Aber auch Shiori hat ein Geheimnis: sie hat magische Kräfte. Als diese an dem Tag ihrer Verlobung außer Kontrolle geraten, ändert sich alles. Ihre Stiefmutter belegt sie und ihre Brüder mit einem Fluch: Shiori wird verbannt und darf nicht mehr sprechen – sonst sterben ihre Brüder, die in Kraniche verwandelt wurden. Shiori befindet sich jetzt auf einer Reise, in der sie lernen muss, Verantwortung zu übernehmen. In dem Versuch, ihre Brüder und ihr Reich zu retten, stößt Shiori auf Intrigen und Geheimnisse. Und ausgerechnet ihr Bräutigam erweist sich hier als große Hilfe...
Der Schreibstil von Elizabeth Lim ist sehr schön und lässt sich flüssig und leicht lesen. Außerdem wirken die Gespräche zwischen den Personen authentisch. Hierbei hat die Autorin Shioris Situation mit der nonverbalen Kommunikation gut gelöst. Shiori als Protagonistin hat mir sehr gut gefallen. Es wird aus ihrer Perspektive erzählt, wodurch die Liebe für ihr Land und ihre Familie spürbar und auch nachvollziehbar wird. In den ersten Kapiteln hat man zunächst die Chance, in Shioris Welt einzutauchen und sie selbst und ihre Brüder wie auch Shioris Magie kennenzulernen. Shiori ist anfangs eigensinnig und bricht gerne Regeln, was sich aber im Laufe des Romans ändert.
„Wenn ich eine Figur in einer Geschichte wäre, dann ganz sicher keine Heldin. Ich wäre der Heißsporn, der alles aus den Fugen bringt.“
Shiori macht auf ihrer Reise viele neue Bekanntschaften und muss lernen für ihre Brüder zu kämpfen. Dabei durchläuft sie eine große Entwicklung: sie lernt, ihre Vorurteile abzulegen, verantwortungsbewusst zu handeln, aber auch stark zu sein. Die Verschwörungen und Intrigen, auf die Shiori stößt, machen den Roman spannend und lassen den Leser/die Leserin wild vermuten und rätseln. Obwohl manches vorhersehbar ist, bleibt der Roman bis zum Ende spannend, denn es wird alles auf den Kopf gestellt. Immer mal wieder werden auch asiatische Legenden eingebracht, die dem Ganzen eine mystische, magische Atmosphäre verleihen. Die anderen Nebencharaktere haben mir alle sehr gut gefallen, auch wenn es mir am Anfang etwas schwer gefallen ist, alle Figuren auseinander zu halten. Die Autorin hat den Charakteren Tiefe verliehen und gibt jedem einzelnen auch Platz, sich zu entfalten. Von der schon im Klappentext angedeuteten Liebesgeschichte darf man nicht zu viel erwarten. Zwar gibt es hier ein paar schöne Momente, jedoch steht der Plot im Vordergrund.
Überzeugt hat mich die Kombination aus dem asiatischen Ambiente und den vielen, ganz unterschiedlichen Charakteren, die einem im Laufe des Buches ans Herz wachsen. Der Roman hat einen starken Wohlfühlcharakter und ist gleichzeitig auch noch aufregend und spannend. Deshalb gebe ich dem Roman „Die sechs Kraniche“ 5 von 5 LESEPUNKTE. Ich kann den Roman jedem empfehlen, der Fantasybücher mit starken weiblichen Protagonistinnen liebt.