Wichtig: Das Buch basiert auf Fakten, die jeweils mit Quellenangaben markiert sind. Daher ist es relativ dialogarm und entspricht eher einer wissenschaftlichen Darstellung, einem Sachbuch als einer unterhaltenden Erzählung oder einem Roman.
Das Buch „Garbo der Spion“ ist, wie der Titel schon impliziert, eine Art Autobiografie des spanischen Doppelagenten Joan Pujol Garcia (Deckname: Garbo), der im Auftrag der Alliierten die deutsche Abwehr täuschte und mit gezielten Falschmeldungen maßgeblich zum Erfolg der Landung in der Normandie (6. Juni 1944; auch D-Day genannt), einer ausschlaggebenden Operation im Verlauf des Zweiten Weltkriegs, beitrug. Die Operation ist ein Grund für den Sieg der Alliierten im Jahr 1945. Der Bezug auf die historischen Fakten bestimmt den Aufbau und die Sprache des Buches.
Arne Molfenter beschreibt episodenhaft das Leben von Joan Pujol Garcia und setzt hierbei seinen Schwerpunkt auf dessen Rolle als Doppelagent im Zweiten Weltkrieg. Der Verfasser beleuchtet aber auch ausführlich Pujols Leben vor dem Krieg, z.B. seine Rolle und politische Einstellung im spanischen Bürgerkrieg, damit seine Motive und Motivationen deutlich werden, aktiv die Nationalsozialisten zu bekämpfen. Der Autor beschreibt auch die Auswirkungen auf Pujols soziales Umfeld während des Krieges wie z.B. die Probleme in der Familie und dem Streit mit seiner Frau Araceli. Abschließend wird auf sein Leben nach dem Krieg eingegangen, es werden jedoch auch hier nur historische Fakten verwendet und keine Wertung seitens des Autors vorgenommen.
Die 13 Kapitel sind relativ kurz gehalten, und es gibt eine noch detailliertere Unterteilung in Handlungsschauplätze mit Jahresdaten, was das Lesen trotz der Masse an Fakten und dem Fehlen von Dialogen zu keiner Zeit langweilig werden lässt oder zu Verwirrungen führt. Außerdem wiederholt der Autor erfreulicherweise fast immer die wichtigen Informationen, die zum Verstehen des Handlungsstrangs wichtig sind, ohne dass diese überflüssig oder ermüdend wirken. Eine Spannungskurve im klassischen Sinne wird aufgrund des sehr sachlichen Stils nicht aufgebaut, auch wenn das letzte Kapitel noch einige Überraschungen bereithält.
Obwohl das Buch vorrangig die Geschichte von Joan Pujol darstellen soll, enthält es viele generelle Informationen über den Zweiten Weltkrieg und beschreibt z.B. das Agentenprogramm der Alliierten detailliert. Die authentischen Briefe Pujols geben hierbei einen guten Einblick, wie die damalige Kommunikation abgelaufen ist und wie problematisch Spionagearbeit ohne das Internet war. Außerdem zeigt das Buch das Leben in einem vom direkten Krieg weniger betroffenen Land wie England.
Die Lügengeschichten, die Pujol und sein Verbindungsoffizier beim MI6, dem Außengeheimdienst von Großbritannien, den Deutschen „auftischen“, um ihr Spionagenetzwerk, das nie existiert hat, möglichst groß erscheinen zu lassen, sind teilweise sogar so haarsträubend, dass man beim Lesen lächeln muss und sich fragt, wie naiv die deutschen Abwehrmitarbeitenden sein mussten, diese Geschichten zu glauben.
Das Buch enthält zusätzlich 28 Fotos, Abbildungen der wichtigsten Personen und von Kriegsschauplätze, die dem Leser/der Leserin die Möglichkeit bieten, sich Situationen und Begebenheiten gut vorstellen zu können. Mir persönlich fällt es mit Bildern leichter, Personen mit Namen zu verknüpfen, was in diesem Buch essentiell ist, da die Personen zu großen Teilen mit ihren Decknamen genannt werden und die Menge an wichtigen Charakteren am Ende relativ groß ist. Und der Hintergrund einzelner Personen und Geheimdienstmitarbeitenden wird sehr ausführlich dargestellt, was mitunter den Lesefluss stört, wenn so die fortschreitende Handlung teilweise unangenehm unterbrochen wird. Hinzu kommt außerdem, dass die Charaktere teilweise mit ihren Decknamen und teilweise ohne bezeichnet werden. Als LeserIn muss man also zwei Namen mit den meisten Charakteren verbinden und sich diese ständig merken.
Trotz solcher Einschränkungen finde ich als Leser den Stil des Autors insgesamt gesehen sehr angenehm und denke, dass er einen guten Mittelweg zwischen einem historischen, wissenschaftlichen Sachbuch und unterhaltender Freizeitlektüre findet.
Das Buch ist insgesamt eher dem Genre des Sachbuchs zuzuordnen, trotzdem soll es auch interessierte LeserInnen ansprechen, die sich für den Zweiten Weltkrieg und auch konkret den D-Day interessieren, zusätzlich aber einen gewissen Unterhaltungsfaktor beim Lesen schätzen. Meiner Meinung nach gelingt dies dem Autor zwar zum Teil, trotzdem würde ich das Buch nur solchen Lesern/LeserInnen auch als Freizeitlektüre empfehlen, die Interesse an der Thematik des Zweiten Weltkriegs mitbringen - genaues Vorwissen ist nicht zwingend notwendig - denn Garbo, der Spion ist bei weitem kein spannender Spionageroman.
Bis jetzt habe ich noch keine ähnlichen Bücher über den Zweiten Weltkrieg gelesen, so dass ich keinen direkten Vergleich ziehen kann. Trotzdem kann ich feststellen, dass sich die Darstellung Molfenters wesentlich interessanter liest als z.B. die historischen Texte und Quellen, die im Geschichtsunterricht verwendet werden. Die Thematik wird von dem Autor anschaulich dargestellt und aufgearbeitet. Und gleichzeitig stellt Garbo, der Spion einen höheren intellektuellen Anspruch an den Leser/die Leserin als ein historischer Roman dar, bietet eine gute Möglichkeit, sich unterhaltsam über das Thema zu informieren.
Ich habe konkret drei Lesepunkte gegeben, da ich das Buch lesenswert und angenehm geschrieben finde. Wenn man es als reines Sachbuch betrachtet, würde ich sogar vier Punkte geben, da es aber eine Gratwanderung zwischen informativen Text und Erzählung darstellt, finde ich drei Punkte angemessen. Ich kann das Buch nämlich nur Jugendlichen und Erwachsenen empfehlen, die dieses Thema interessiert und die auch an faktenbasierten Büchern interessiert sind.