Miriam, die Protagonistin und Ich-Erzählerin des Buches „Es wird keine Helden geben“ von Anna Seidl, erschienen im Januar 2014 bei Oetinger, befindet sich in ihrer Schule, als sie die Schüsse hört. Ein Amoklauf. Sie muss mit ansehen, wie Menschen erschossen werden, darunter auch ihr Freund Tobi. Doch sie überlebt. Während der Zeit nach dem Amoklauf versucht Miriam einen Weg zurück in ihr altes Leben zu finden, jedoch erweist sich dies als schwer, da sich überall Erinnerungen wieder finden. Wird es ihr trotzdem gelingen?
Miriam stellt ihrer Erzählung folgende Bemerkung voran: „Der ein oder andere von euch wird es grausam finden. Einige übertrieben. Und andere werden einfach nur entsetzt sein. Und ihr alle werdet euch dabei irren.“ (S.8)
Für mich steht fest, dass ich nach der Lektüre des Buches zu denjenigen gehöre, die es übertrieben finden – auch wenn die Ich-Erzählerin vermutlich Recht damit hat, dass man das wahre Ausmaß eines solchen Ereignisses auf beteiligte Personen als jemand, der so etwas zum Glück nie erleben musste, nie ganz begreifen wird.
Ich las die Zusammenfassung auf der Rückseite des Buches und stellte mir einen Roman vor, welcher mit Spannung und Action gefüllt ist und den Leser fesseln kann. Verständlicherweise war ich aus genau diesem Grund etwas verwundert, als die Erzählung des Amoklaufes auf Seite 22 endet. Die restlichen 230 Seiten drehen sich einzig und allein um Miriams Versuch, mit dem Amoklauf fertig zu werden. Sie denken jetzt wahrscheinlich, genauso wie ich, als ich das Buch noch nicht gelesen hatte, dass eine emotionale und spannende Geschichte folgen wird.
Zu Anfang war ich dennoch fasziniert. Alles ist zunächst sehr realistisch beschrieben und man wartet darauf, dass Miriam sich aus ihrem Haus hinaus begibt und die Geschichte erst richtig beginnt. Das tut sie dann auch endlich auf Seite 43 – mit einem Friseurbesuch.
Bis dahin besteht der Roman überwiegend aus einem inneren Monolog der Erzählerin, in dem sie sich in Fragen und Binsenweisheiten ergeht („Während der Tod die Erlösung ist, zwingt uns das Leben immer wieder in die Knie.“, S.32). Diese Phrasen mögen zwar wahr sein, aber soweit ich das als 15-Jährige beurteilen kann, würde eine 15-Jährige solche Sätze nicht von sich geben.
Des Weiteren ist man nach einiger Zeit sichtlich genervt von Miriams dauerhaften Anschuldigungen, die sich gegen ihre Familie richten, welche nur versucht, ihr zu helfen. So redet sie oft davon, dass es nicht um ihre Familie geht, sondern einzig und allein um sie (vgl. S.33). Außerdem beklagt Miriam sich ohne Pause darüber, dass keiner sie versteht, vergisst dabei jedoch, dass sie mit niemandem reden will und alle wegschickt, die dies versuchen, woraus logischerweise resultiert, dass sie keiner versteht. Immer wieder betont Miriam, wie leer sie sich fühlt, und dass niemand ihr helfen kann, mit Ausnahme ihres Freundes Tobi, der bei dem Amoklauf sein Leben lassen musste („Tobi ist gestorben. Und sie reden davon mir helfen zu wollen. [...] Es ist einfach nur so, dass ich mich ziemlich leer fühle, während mein ganzer Körper schmerzt.“, S. 31).
Alles in allem überzeugte mich die Figur der Miriam also nicht, da ich ihre Verhaltensweisen kaum nachvollziehen kann und ich ihre Ausdrucksweisen für nicht authentisch halte.
Es fällt darüber hinaus auf, dass die Aussagen der Protagonistin teilweise nicht mit der tatsächlichen Romanhandlung übereinstimmen. Zum Beispiel wird oft erwähnt, dass im Leben alles ganz anders wäre als im Film. Jedoch treten gleichzeitig ungewöhnlich viele Klischees auf, welche dieser Aussage widersprechen: Nicht nur ist der Amokläufer, Mathias, unbeliebt und hat laut Miriam nur zwei Freunde, nein, er hat die Tat auch nur begangen, weil Miriam und ihre Freunde ihn gemobbt haben. Und wieso haben sie das gemacht? Weil sie „dazugehören wollten“. All dies erscheint mir als eine zu einfache stereotype Erklärung der Ereignisse. Ich glaube nicht, dass Ursache und Wirkung bei Amokläufen so klar zu erkennen sind.
Natürlich kann ich mir sicherlich nur annähernd vorstellen, wie schwer es ist, nach so einem Ereignis zurück in das normale Leben zu finden, vor allem im Alter von 15 Jahren, jedoch übertreibt Anna Seidl meiner Meinung nach sehr, was die Rücksichtslosigkeit der Protagonistin gegenüber der Familie angeht, aber auch in Bezug auf das Leben anderer Beteiligter nach dem Amoklauf: Eine Freundin bringt sich um, eine andere wird zum Drogenopfer – ein wenig viel Dramatik für einen kleinen Freundeskreis.
Mir gelang es also leider nicht, mich in Miriam hineinzuversetzen, da mir ihre Entscheidungen unlogisch erschienen und ich mich mit ihrem Gedankengang kaum identifizieren konnte. Die Autorin übertreibt stark und schafft es nicht, den/die LeserIn zu fesseln und ihn zum Mitfühlen zu bringen. Dennoch ist die Lesbarkeit des Buches sehr gut. Es wird hauptsächlich einfacher Satzbau genutzt und der Roman ist sprachlich so angelegt, dass man keine Verständnisschwierigkeiten hat.
Für Jugendliche, die Weisheiten und Dramatik mögen, ist der Roman lesenswert. Ich gebe dem Buch jedoch aufgrund der oben genannten Aspekte 2 von 5 lesepunkten.