Die Erzählerin in dem Roman „Nil“ von Anna Baar schreibt Fortsetzungsstorys für ein Frauenmagazin. Als ihr Chef sie aufgrund von mehreren Leserbeschwerden auffordert, zu einem Ende zu kommen – zum Beispiel, indem die Figuren Selbstmord begehen –, verwirft sie ihren Entwurf für den Schluss wieder. Zwar hätte sie einige Ideen, die nicht einmal schlecht sind, doch kann sie es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, ihren Figuren ein solches Schicksal zuzumuten, wie sie es sich erdacht hat. Sie fühlt mit den Figuren mit, als ginge es um sie selbst, und hat Angst, dass ihre Geschichte Wirklichkeit werden könnte – tatsächlich haben bereits ein paar der Leserinnen geschrieben, einzelne Szenen hätten sich nach dem Lesen bewahrheitet.
Die Ich-Erzählerin selbst beschreibt ihren Beruf als „Erfinder“. Ihren Namen erfährt man nicht. In vielen einzelnen Rückblickszenen berichtet sie von ihrer Kindheit. Ihr Vater war Zoowärter. Während alle anderen Kinder Spaß hatten, sich über die Tiere lustig zu machen, hatte sie immer schon großes Mitleid mit ihnen, weil sie eingesperrt waren. Besonders gern mochte sie das Krokodil, was wohl einer der Gründe ist, warum der Roman „Nil“ heißt. Die Mutter der Erzählerin ist abergläubisch, sammelte viele Dinge und gab ihrer Tochter gegen alles Mögliche Globuli, wovon diese ein anhaltendes Trauma zu haben scheint. Wenn die Erzählerin von ihrer Kindheit spricht, bezeichnet sie sich selbst oft nur als „das Kind“ und spricht in der dritten Person von sich, so als wäre das gar nicht sie selbst gewesen – mehrmals spricht sie auch eine Verwandlung an, unter anderem herbeigeführt durch das schlimme Fieber, an dem sie einmal erkrankt ist. Im Fieber hatte sie Wahnvorstellungen, und im Verlauf des Buches liegt die Vermutung nahe, dass sie diese immer noch nicht losgeworden ist.
Später im Buch lernt man Sobek kennen, die Romanfigur, die die Erzählerin erschaffen hat, die aber gleichzeitig ein Teil ihrer Persönlichkeit zu sein scheint. Sobek ist 29 Jahre alt, nimmt Drogen und wohnt noch im Haus seiner Eltern. Er hat Spaß daran, Tiere bei der Paarung zu sehen, und auch an Katastrophen wie Unfällen, Seuchen und Bränden findet er Gefallen. Insgesamt kann man ihm durchaus eine psychische Störung unterstellen.
„Wer weiß, wo die Wahrheit beginnt und wo sie zu Ende ist?“ (S.12)
Zwar wird all das, was ich oben beschrieben habe, noch lange nicht dem Inhalt des Romans gerecht, doch dieser Satz fasst das Buch sehr treffend zusammen. Nach einem recht vielversprechenden Anfang – die Erzählerin befindet sich in einem Verhör, ihr gegenüber Wärter und Kamerafrau, denn jemand ist verschwunden und sie wird verdächtigt, etwas damit zu tun zu haben – verliert sich die Handlung allmählich in Kurzsequenzen und wird zunehmend verwirrender. Immer wieder habe ich mich gefragt, was von dem Erzählten tatsächlich passiert und was sich nur in den Köpfen der Romanfiguren abspielt. Die einzelnen Szenen schienen mir oft zuerst zusammenhanglos. Am Ende wird zwar einiges klarer, aber es werden bei weitem nicht alle Fragen beantwortet.
Zu dem Buch gibt es viele positive Pressestimmen, die unter anderem die sprachliche Gestaltung loben. Dem kann ich mich anschließen, denn einige Sätze und Gedankengänge sind wirklich schön oder inspirierend und regen zum Nachdenken an. Andere Sätze und Gedankengänge hingegen fand ich dann doch eher verstörend und absurd.
Insgesamt ist es ein Roman, dem eine interessante Idee zugrunde liegt und dessen Anfang mir gut gefallen hat, der dann aber so verwirrend wird, dass man irgendwann nichts mehr wirklich versteht. Den Pressestimmen ist zwar zu entnehmen, dass es für Erwachsene wohl ein gutes Buch ist, doch da es so komplex ist, kann ich es für Jugendliche absolut nicht empfehlen. Daher gebe ich ihm nur 1 von 5 LESEPUNKTE.