Die Lesepunkte im Gespräch mit dem Kölner Erzähler und Radiosprecher Thomas Pelzer
Die Lesepunkte im Gespräch mit dem Kölner Erzähler und Radiosprecher Thomas Pelzer
"Es hat etwas von Kino, Vorlesestunde und Hörspiel und damit sind alle Sinne beschäftigt."
Lesepunkte: Was hat dir besonders gut an der Geschichte vom klugen Fischer gefallen?
Pelzer: Das Besondere an der Geschichte von Böll ist, dass er sie zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt verfasst hat. Das Wirtschaftswunder ist im vollen Gange gewesen und er ist mit seinen Arbeiten sehr subtil gegen die herrschende Meinung angegangen. Auch mit seiner Geschichte, die im Original „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ heißt, hat er das bestehende Gesellschaftsbild kritisiert. Allein der Titel wird in der damaligen Gesellschaft bereits für Aufregung gesorgt haben, aber gerade das hat Böll gewollt. Und ich finde es so klasse, dass die Geschichte nichts an Aktualität eingebüßt hat und wir immer noch der Meinung sind, wir wüssten alles und könnten anderen etwas überstülpen, und dass nur arbeiten und Geld verdienen zählt, aber das funktioniert nicht - bereits die Jugendlichen haben das hier verstanden. Aber Glück, das nennen auch die Jugendlichen, bedeutet eben nicht nur das Materielle, sondern Freunde und Familie. Heinrich Böll hat einfach eine sehr politische Geschichte geschrieben, die nur 1 ½ Seiten lang ist, die jedoch heute noch aktuell ist und genau das finde ich so grandios.
Lesepunkte: Wie gehst du an eine Geschichte heran, wenn du sie bekommst und ein KinderBuchKino daraus entstehen soll? Also die praktische Umsetzung.
Pelzer: Ich bekomme die Geschichte, lese sie zum ersten Mal und denke fast immer: „Mist, das bekomme ich niemals hin?!“ Und dann lese ich die Geschichte ein zweites und drittes Mal und weiß, dass ich auch sofort mit der konkreten Arbeit beginnen muss. Häufig habe ich aber schon Geräusche im Ohr, wenn ich die Geschichte lese. So war es bspw. auch bei der Geschichte vom klugen Fischer, da konnte ich mir vorstellen, was für ein Geräusch sich wo gut eignet. Nachdem ich die Geschichte dann also gelesen habe und erste Ideen existieren, schneide ich das Buch auseinander und scanne die Bilder aufwändig und bearbeite sie mit bestimmten Programmen nach, damit das Bild, wenn ich es auf der Leinwand zeige, auch eine gute Qualität hat. Das dauert mindestens drei Tage, wenn nicht sogar fünf. Entscheidend ist der Umfang des Buches. Während dieses Prozesses habe ich die Bilder immer vor Augen, auch in unsortierter Reihenfolge und dabei fallen mir dann immer konkretere Geräusche ein und wie ich die Geschichte präsentieren will. Wenn in der Geschichte mehrere Figuren vorkommen, dann versetze ich mich in diese hinein und sie bekommen alle unterschiedliche Stimmen.
Der nächste Schritt ist dann, dass ich die gescannten Bilder in eine Reihenfolge bringe, wie ich sie präsentieren will, was dann wieder einen Tag braucht. Dann stelle ich mir vor, wie ich meinem Kind dieses Bilderbuch vorlese und wo es hingucken, hinzeigen könnte. Und deshalb nehme ich manchmal auch nur Bildausschnitte, die die Funktion des Hinzeigens übernehmen. Dazu überlege ich mir dann die Geräusche. Die Geräusche sind tatsächlich das, was am meisten Zeit in Anspruch nimmt. Als Nächstes geht es dann an die Bildübergänge.
Lesepunkte: Bist du jemand, der sehr perfektionistisch ist und seine Arbeit nicht gut abschließen kann, weil er das Gefühl hat, dass immer etwas fehlt?
Pelzer: Ja, ich kann nicht aufhören an den Büchern zu arbeiten. Wenn ich Bücher bekomme, die ich noch nicht aufgeführt habe, ist es immer so, dass ich am Abend vorher noch bis Mitternacht daran arbeite und es ist auch schon vorgekommen, dass ich bis 03:00 Uhr daran gesessen und gearbeitet habe, und um 07:00 Uhr zur Vorstellung musste. Das ist dieser Perfektionismus einerseits und eine Macke, die ich habe, dass ich erst kreativ werde, wenn ich unter Druck stehe, aber das brauche ich auch - obwohl ich es hasse, aber ich habe mich daran gewöhnt. Aber die letzten zwei Tage bis zur Präsentation sind dann schlimm und ich vergesse auch zu essen. Es ist wie bei einem Theaterstück, das nie fertig ist.
Lesepunkte: Was begeistert dich daran Geschichten zu erzählen?
Pelzer: Zunächst ist es natürlich meine Arbeit - es ist mein Beruf. Aber was an meinem Beruf so klasse ist, ist, dass ich direktes Feedback vom Publikum erhalte und gerade die Reaktionen von den Kindern sind toll, denn sie zeigen dir sofort, ob es ihnen gefällt oder eben nicht. Mir macht es Spaß vorzulesen - egal für welche Altersgruppe. Und es ist schön zu sehen, wenn es den Kindern gefällt, und man mit ihnen in Interaktion treten kann. Aber gerade auch, dass wir das mehrsprachig machen können ist klasse, was auch bedeutet, dass ich mit immer mehr Menschen in Kontakt komme.
Lesepunkte: Hast du als Kind selber gerne Geschichten gehört?
Pelzer: Ja, leidenschaftlich gern. Deshalb wollte ich auch, als ich in die Schule gekommen bin, ganz schnell lesen lernen und habe dann auch viel gelesen. Aber auch Hörspiele habe ich sehr gerne gehört. Bis heute gibt es noch meine Schallplatten und Hörspielsammlung auf dem Speicher meiner Eltern sowie den Schallplattenspieler. Ich habe sogar einmal mit einem Freund, als wir so neun Jahre alt waren, die Radiosendungen auf Kassette aufgenommen. Aber ich habe niemals darüber nachgedacht, dass daraus mal ein Beruf werden kann.
Lesepunkte: Wann hast du begonnen Geschichten zu erzählen?
Pelzer: Mhhhh... also eigentlich so vor 26 Jahren, als ich mal kurz am Theater engagiert gewesen bin. Das Theater hat auch Lesungen veranstaltet und damit fing es an, dass ich Spaß daran hatte vor Publikum zu lesen. Ich hatte schon immer eine Affinität dazu. Und von da an entwickelte sich das Schritt für Schritt weiter, obwohl ich eigentlich ein top Theaterschauspieler werden wollte (lacht).
Lesepunkte: Was ist das Schönste, wenn du Geschichten erzählst?
Pelzer: Diese Verbindung zwischen demjenigen der vorliest und dem Publikum. Wenn man es als Erzähler schafft, diese Verbindung aufzubauen und es hinbekommt, dass sie nicht abreißt und das Publikum ist mit in der Geschichte, dann ist das so klasse, denn es macht auch was mit dir als Erzähler. Und wenn diese Verbindung auf einem sehr hohen Niveau ist, dann vergesse ich als Erzähler sogar, dass die Geschichte nicht von mir ist – das ist natürlich der Idealfall, wenn es so ist, als würde ich mir die Geschichte jetzt gerade ausdenken.
Lesepunkte: Wie würdest du die Atmosphäre beschreiben, die in deinen Lesungen herrscht?
Pelzer: Es ist dunkel in den Räumen, es gibt diese Projektion, es gibt diese Geräusche, es zieht einen einfach mit in die Geschichte hinein. Es hat etwas von Kino, Vorlesestunde und Hörspiel und damit sind alle Sinne beschäftigt. Aber es hilft auch dabei, dass Menschen es verstehen, die nicht den Text verstehen.
Lesepunkte: Hast du eine Geschichte, die dir besonders gut gefällt?
Pelzer: Also momentan ist es „Die unglaubliche Geschichte von der Riesenbirne“. Ein großartiges Buch, das man allen Eltern nur empfehlen kann. Es ist eine unglaubliche Abenteurer- und Seefahrergeschichte. Und für alle Erwachsenen, die Jules Verne kennen, finden sich immer wieder Elemente aus seinen Büchern wieder – es ist quasi auch eine Hommage an ihn und seine Werke. Das ist wirklich die Geschichte, die ich momentan sehr gerne mache, weil es auch zehn verschiedene Figuren gibt und es wirklich wie ein Hörspiel wird und einen unglaublich hohen Spaßfaktor hat. Ganz großartig finde ich auch die Werke von Torben Kuhlmann, wie „Lindbergh: Die abenteuerliche Geschichte einer fliegenden Maus“.
Lesepunkte: Welche Geschichte würdest du gerne mal erzählen?
Pelzer: Ich habe im Sommer zusammen mit einem Musiker und Geräuschemacher „Emil und die Detektive“ als Live Hörspiel auf die Bühne gebracht. Und wenn wir noch einmal so ein Projekt machen, dann würde ich gerne den Räuber Hotzenplotz nehmen, denn das war meine persönliche Lieblingsgeschichte als Kind.
Lesepunkte: Was macht dich glücklich?
Pelzer: Meine Frau macht mich glücklich - Zeit mit meiner Frau macht mich glücklich.
Empfohlene Zitierweise
Interview mit Thomas Pelzer (Julia Wagener). In: LESEPUNKTE, URL: https://www.lesepunkte.de/interview/die-lesepunkte-im-gespraech-mit-dem-koelner-erzaehler-und-radiosprecher-thomas-pelzer/Bitte setzt beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Eures letzten Besuchs dieser Online-Adresse.
lieber Thomas, am 08.11. sind Sie in Ludwigshafen. Ich bin dabei. Vor ca 27 Jahren habe ich angefangen Bilderbücher auf Dias
zu fofografieren. Als gelernte Erzieherin wird man erfinderisch ,wenn man ein Bilderbuch vor 20 Kindern spannend
erzählen will. Das lästige Umblättern, Text lesen, dabei die Kinder nicht beobachten können brachte mich auf die Idee.
Personalmangel an der Tagesordnung. Leider fehlte mir die Technik Geräusche dazu zu liefern. Man hat ja schließlich einen
Mund. ich freue mich auf Ihre Fobi.
Liebe Grüße
Ulrike