Die Autorin Carolin Philipps im Interview mit SchülerInnen des Max-Ernst Gymnasiums in Brühl auf der lit.kid.cologne
Die Autorin Carolin Philipps im Interview mit SchülerInnen des Max-Ernst Gymnasiums in Brühl auf der lit.kid.cologne
„Immer da, wo ich sehe, dass etwas ungerecht ist, da möchte ich was ändern.“ (Carolin Philipps)
Die SchülerInnen Louisa, Pauline, Gamze und Mikail des Max-Ernst-Gymnasiums in Brühl hatten die Gelegenheit die mit dem Mentioning Award ausgezeichnete Autorin Carolin Philipps auf der lit.kid.cologne zu ihrem neuen Jugendroman "Tanz auf Scherben" zu interviewen:
Mikail: Guten Tag Frau Philipps, wir freuen uns, dass Sie sich Zeit für uns nehmen, um mit uns das Interview zu führen. Wir sind Louisa, Pauline, Gamze und Mikail vom Max – Ernst Gymnasium in Brühl. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen zu Ihrem neuen Buch Tanz auf Scherben und Ihrem Beruf als Autorin stellen.
Louisa: Unsere erste Frage ist, wie lange Sie durch Indien gereist sind?
Ich war insgesamt vier Wochen dort, aber ich bin nicht durch ganz Indien gereist, weil die Familie, bei der ich war, in Mumbai gelebt hat, sodass ich hauptsächlich Mumbai und die Umgebung gesehen habe.
Pauline: Für das Buch „Friederike von Preußen. Die leidenschaftliche Schwester der Königin Luise“ haben Sie geheime Briefe und bis dahin unbekannte Quellenmaterialien gefunden. Woher kannten Sie sich so gut mit der Thematik ‚Mädchen in Indien’ aus?
Ich habe natürlich viel recherchiert und Bücher über die Frauenbewegung in Indien gelesen. Als ich mich dazu entschlossen habe, das Buch zu schreiben, bin ich nochmal nach Indien geflogen und habe ganz gezielt mit Frauen gesprochen, die in der Frauenbewegung aktiv waren. Ich habe dann genau das gemacht, was ihr heute auch macht – ich habe Interviews geführt. Ich habe betroffene Mädchen getroffen, die kahlgeschoren waren und die haben mir erzählt, was das mit ihnen gemacht hat. Sie haben mir ihre Gefühle erzählt. Auch mit Sanjana habe ich gesprochen - und so ist dann das Buch entstanden.
Gamze: Warum sollten sich LeserInnen für dieses Thema interessieren, das ja mit ihrer eigenen Lebenswirklichkeit wenig zu tun hat?
Es geht ja um Mädchen und Frauen, denen es ganz schlecht geht und die so etwas erlebt haben, wie ich es beschrieben habe. Und ich denke, das ist ein Thema, das alle angeht, dass man sich darüber informiert, es vielleicht weitererzählt. Man kann nicht von Deutschland aus dort in Indien so großartig was ändern, aber Manu hat es dann tatsächlich getan über die großen Zeitungen, dass er dann die Aufmerksamkeit erweckt hat zusammen mit der Frauenbewegung und da tut sich auch langsam etwas. Wir müssen alle wissen, was in der Welt passiert und dass man dann vielleicht sagt, wenn man hier bei uns Unrecht erkennt, wo auch Mädchen benachteiligt sind oder andere Menschen, dass man dann sagt: „Stopp, ich muss was tun!“. Natürlich ist das bei uns eine andere Situation, aber man kann sich einsetzen, wenn Unrecht gesehen wird und das kann man auch hier machen.
Mikail: Wie sind Sie auf den Titel ‚Tanz auf Scherben’ gekommen?
Mit dem Cover selbst habe ich nie etwas zu tun, das macht die Marketingabteilung vom Verlag und die Grafiker. Der Titel ist mir allerdings immer besonders wichtig. Sanjana tanzt und es ist ihr großer Traum eine berühmte Tänzerin zu werden. Die Scherben symbolisieren, dass ein Teil ihres Lebens zu Bruch gegangen ist, als das passierte, was passiert ist und sie tanzt trotzdem weiter, auf den Scherben ihres zerstörten Familienlebens.
Louisa: Wir haben die Stellen, wo die kleinen Mädchen getötet wurden als sehr brutal empfunden. Wieso haben Sie die Tötungsszenen der kleinen Mädchen so präzise und detailliert beschrieben?
Weil es sehr brutal ist und ich denke, das kann man nicht verschweigen. Ich will ja Gefühle hervorrufen und dann kann ich nicht nur in drei Worten sagen, dass die Mädchen getötet werden. Ich will ja auch zeigen, was es mit den Frauen gemacht hat und warum es passiert und deshalb musste ich das so deutlich schreiben. Ich habe versucht, in meiner Sprache sachlich zu bleiben, aber die Sache an sich ist brutal und davor kann man die Augen nicht verschließen –das ist so.
Pauline: Wie würden Sie denn Ihr Buch ‚Tanz auf Scherben’ in drei Worten beschreiben?
Ach du meine Güte (lacht). Also es ist berührend, schockierend und ermutigend. Ermutigend in dem Sinne, dass man sagt, man muss sich wehren und man kann was machen.
Gamze: Wie lange haben Sie gebraucht um das Buch zu schreiben?
Ich habe immer so drei Monate, die ich mir Zeit nehme und die Recherche ist natürlich davor. Also ca. zweieinhalb bis drei Monate schreibe ich.
Mikail: Wie motivieren Sie sich zum Schreiben?
Also die Themen, die habe ich. Ich habe ja die Sanjana und den Manu getroffen und das hat mich so betroffen gemacht, dass ich mir gesagt habe, dazu muss ich was machen und davon müssen die Menschen wissen. Da muss ich mich nicht motivieren. Immer da, wo ich sehe, dass etwas ungerecht ist, da möchte ich was ändern. Und ich kann eben nur versuchen mit Worten etwas zu verändern. Beim täglichen Schreiben ist es meist so, dass ich den Anfang und das Ende habe, aber dieser Mittelteil, da geht es mir manchmal so wie euch vielleicht bei euren Hausaufgaben. Da muss ich mich manchmal echt zu zwingen und dann fange ich auch mal an zu putzen, was ich hasse, und wenn ich anfange Fenster zu putzen, dann weiß meine Familie, dass ich eine echte Blockade oder keine Lust habe. Fensterputzen ist nämlich so das letzte, was ich eigentlich tun würde.
Louisa: Was war das schönste und lustigstes Erlebnis, dass Sie in Ihrem Beruf als Autorin erlebt haben?
Das Schönste sind eigentlich die Recherchen und wenn da einer meiner Söhne mitkommt. Die begleiten mich nämlich immer, weil meine Familie sagt, wenn ich alleine unterwegs bin, dann passiert vielleicht was. Beispielsweise an der Mexikanischen Grenze, da haben wir uns verirrt und sind unter die Schmuggler geraten mit unserem Auto und das war schon extrem gefährlich. Und da war mein großer Sohn dabei. Auch in Bukarest, als wir mit Straßenkindern gelebt haben, war mein Sohn dabei. Und wenn ich all das mit meinen Söhnen machen kann, das verbindet. Meine Kinder sind jetzt schon groß, der älteste ist 38 Jahre alt und kommt immer noch gerne mit, und das sind so Sachen, die ich einfach ganz toll finde.
Pauline: Wie früh hatten Sie den Wunsch Autorin zu werden?
Zunächst habe ich ja Geschichte und Englisch studiert und bin auch Lehrerin. Das wurde dann aber alles irgendwann zu viel und dann habe mich vor acht Jahren dazu entschieden nur zu schreiben, weil ich mir dachte, so kann ich beides gut verbinden: Das Pädagogische mit dem Schreiben. Beides, was ich sehr gerne mache. Schreiben wollte ich eigentlich schon früh. Ich hatte in der sechsten Klasse eine Lehrerin, die mir das fast ausgetrieben hätte. Sie hat uns den Schreibauftrag gegeben „Beschreibe einen Tag in deiner Familie“ und das fand ich so ein langweiliges Thema und dann habe ich da in der Schule gesessen und mir überlegt, was man da machen kann. Und so habe ich dann einen Tag aus meiner Familie beschrieben, aber aus der Sicht einer Stubenfliege. Ich fand das so toll, aber meine Lehrerin leider weniger. Sie hat mir dann eine drei dafür gegeben und meinte: „Ich solle von nun an meine Fantasie im Deutschunterricht zu Hause lassen“. Das wäre fast das Ende meiner Kariere. Später hat sie mich dann aber tatsächlich auch zu sich in den Unterricht eingeladen, als ich dann schon fertig mit der Ausbildung war und geschrieben habe. Ich sollte ihren SchülerInnen erklären, wie man mit Fantasie Geschichten schreibt. Das hat mich dann gefreut.
Gamze: Wie viele Bücher haben Sie schon geschrieben und welches war am erfolgreichsten?
Es sind schon 28 Bücher, die ich geschrieben habe. Am erfolgreichsten waren zwei meiner Bücher. Zum einen der Roman Mutprobe. Der ist auch aus meiner Klasse entstanden, in Hamburg, wo meine SchülerInnen S-Bahn surfen gemacht haben. Sie sind aus einem fahrenden Zug geklettert, haben die Arme ausgebreitet und sind gesurft - so wie sie sagen. Bis dann einer, als die Bahn unterirdisch weiterfuhr, gegen die Tunnelwand geknallt, abgestürzt und gestorben ist. Meine SchülerInnen waren bei der Beerdigung und haben nie wieder dieses S-Bahn surfen gemacht. Es musste aber erst einer sterben, bevor sie begriffen haben, was Mut auch bedeuten kann – nämlich einfach mal nein zu sagen. Und daraus habe ich dann eine Geschichte gemacht, die mittlerweile in ganz vielen Schulen in Deutschland zu dem Thema Mut gelesen wird. Das zweite sehr erfolgreiche Buch ist Milchkaffee und Streuselkuchen, was auch mein persönliches Lieblingsbuch ist. Da geht es um die Freundschaft zwischen einem Jungen mit dunkler Hautfarbe und einem deutschen. Das Buch habe ich für meine Kinder geschrieben, da mein Mann aus Vietnam kommt und meine Kinder somit eine Mischung sind. Sie haben auch immer erfahren, dass ihnen entgegengebracht wurde, wie sie denn aussehen würden, woher sie denn kommen usw. Und darum ist immer ein wichtiger Bereich in meinen Büchern das Thema Toleranz: Wie gehen wir mit Menschen um, die anders sind. Ich möchte nämlich, dass es irgendwann nicht mehr wichtig ist, wie jemand aussieht oder ob jemand beeinträchtigt ist oder nicht. Sondern ich fände es schön, wenn es irgendwann nur noch darauf ankommt, wie wir miteinander umgehen. Das ist der große Motor, der mich antreibt und mein Leben ist.
Mikail: Haben Sie schon Pläne für ein nächstes Buch oder eine weitere Reise geplant?
Ja, neben Tanz auf Scherben ist noch ein weiteres Buch herausgekommen, das Talitha: Eine Flüchtlingsgeschichte heißt. Es handelt von einem syrischen Mädchen, das aus Damaskus flieht und nach Deutschland kommt. Und zu diesem Buch schreibe ich jetzt eine Fortsetzung. Ich habe noch nie ein Fortsetzungsbuch geschrieben, aber ich war jetzt in Innsbruck und da habe ich nach der Lesung, über das Buch Talitha, einen 14-jährigen Jungen aus Damaskus kennengelernt, der mir bestätigt hat, dass es bei ihm und seiner Mutter genauso gewesen sei, als sie geflohen sind. Er erzählte mir, dass er so froh sei, dass seine MitschülerInnen (jetzt) wissen würden, wie es ihm jetzt gehen würde und was er erlebt hat, denn er kann das noch nicht so sagen. Jetzt können sie auch besser verstehen, warum er oft so traurig ist, denn sein Vater ist noch in Damaskus und warum er auch häufig nachmittags keine Zeit hat sich mit ihnen zu treffen, denn er muss lernen, da die ganze Hoffnung der Familie auf ihm liegt. Er soll nämlich Arzt werden. Er hat auch dort zum ersten Mal seiner Klasse erzählt, dass, als er gerade in Österreich angekommen ist, eine Bombe auf seine Schule in Damaskus gefallen ist und alle 29 MitschülerInnen gestorben sind. Dadurch, dass er in Österreich ist, hat er als einziger überlebt und lernt sozusagen für seine verstorbenen MitschülerInnen mit. Nachdem er mir all das erzählt hatte, habe ich beschlossen eine Fortsetzung zu schreiben, obwohl ich das nie vorhatte. Dafür werde ich auch noch nach Wien fahren und mit allen sprechen.
Louisa: Sind alle ihre Geschichten wahr?
Ja, alle meine Geschichten sind wahr. Es ist immer alles Realität, aber manchmal nehme ich zwei bis drei Geschichten oder Personen und füge sie zu einer zusammen. Was ich natürlich immer mache ist, dass ich die Namen verfälsche und die Umstände, damit man diese nicht wiedererkennt, da ich die Personen ja auch schützen muss.
Pauline: Haben sie ein Vorbild?
Nein, nicht wirklich. Aber ich lese sehr gerne Krimis, weil die so schön aufgebaut sind und da hole ich mir gerne Anregungen, wenn ich denke, dass etwas besonders gut gelungen ist.
Gamze: Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft?
Dass ich noch lange schreiben kann und dass ich vor allem durch das Wort was bewegen kann. Das ist es, was ich mir wirklich wünsche, dass die Welt am Ende ein wenig menschlicher wird.
Wir bedanken uns für das Interview und die Zeit, die Sie sich für uns genommen haben.
Kurzbiographie:
Carolin Philipps, Jahrgang '54, schreibt seit 1989 Jugendbücher. 2000 wurde Sie für Ihren Jugendroman "Milchkaffee und Streuselkuchen" (Ueberreuter) mit dem Mentioning Award der Unesco für Frieden und Toleranz ausgezeichnet.