Adriana Popescu über Selbstkonfrontation, Mobbing, die Bedeutung von Freundschaft und ihr Buch “Mein Sommer auf dem Mond”
Adriana Popescu über Selbstkonfrontation, Mobbing, die Bedeutung von Freundschaft und ihr Buch “Mein Sommer auf dem Mond”
– Im Interview mit den LESEPUNKTEN –
Zum Inhalt von Adriana Popescus Mein Sommer auf dem Mond:
„Cooler Sportler, niedliche Träumerin, lässiger Underdog und freche Sprücheklopferin – alles nur Fassade. Und die müssen Fritzi, Bastian, Tim und Sarah aufgeben, als sie mit ihren tiefsten Geheimnissen im Therapiezentrum auf Rügen landen. Einen lebensverändernden Sommer lang werden die vier vom Schicksal zusammengewürfelt und ordentlich durchgeschüttelt. Dabei wachsen sie über sich hinaus, finden ihr wahres Selbst, großen Mut und entdecken die erste wahre Liebe...“ (cbj Jugendbücher, 2018)
LESEPUNKTE: Was hat Sie dazu bewegt, „Mein Sommer auf dem Mond“ in einem so außergewöhnlichen Setting mit einer nicht alltäglichen Thematik spielen zu lassen?
Popescu: Es gab in den letzten Jahren viele Bücher, Serien und Filme, in denen es um eine Gruppe Jugendlicher ging, die alle ein auf Röntgenbildern oder im Ultraschall sichtbares Problem hatten. In diesen Büchern wurde jedoch nie thematisiert, dass es auch psychische Probleme gibt, die ja nicht weniger echt sind, nur weil man sie nicht auf einem Röntgenbild sieht. Ich habe einfach den Eindruck, dass man gerade bei Jugendlichen auch über so etwas sprechen und das vermeintliche Tabu-Thema aufheben sollte. Mein Buch soll die Jugendlichen dazu ermutigen, sich zu trauen, auch solche Themen anzusprechen ohne direkt mit dem Stigma versehen zu werden, schwach oder ein Freak zu sein, wenn man unter Depressionen leidet. Ich hoffe, mit meinem Buch nicht nur diejenigen zu erreichen, die an einer psychischen Krankheit leiden, sondern vielleicht auch diejenigen, die in Ihrem Umfeld damit in Berührung kommen.
LESEPUNKTE: Wie haben Sie es geschafft, die „ungreifbaren“ und „unsichtbaren“ Krankheiten der vier Protagonisten für den Leser „greifbar“ zu machen?
Popescu: Ich stand vor der Herausforderung, die zunächst körperlich nicht sichbare Bipolarität und die Probleme, die damit einhergehen, sprachlich in einem Buch zu veranschaulichen -- für einen Leser bzw. eine Leserin, die nicht an so etwas leidet. Um die Bipolarität Bastians auch für "gesunde" LeserInnen verständlich zu machen, habe ich mir ein visuelles Mittel zu Nutze gemacht: Bastian sieht immer wieder Filmbösewichte und unterhält sich mit diesen. Für Bastian als großer Filmfreak sind diese Filmbösewichte so etwas wie der „böse“ Engel, der bei vielen Menschen auf der Schulter sitzt.
LESEPUNKTE: War Ihnen in Ihrem Schreibprozess von Anfang an klar, wie sich die einzelnen "Krankheitsgeschichten" entwickeln sollten?
Popescu: Ja, das schon. Ich hatte zuerst die Krankheiten und habe dann geschaut, was diese für die einzelnen Protagonisten und deren Geschichten bedeuten. Bei Sarah zum Beispiel habe ich einen befreundeten Therapeuten zu Rate gezogen und gemeinsam mit ihm überlegt, was es aus einem Mädchen machen kann, Cyber-Mobbing an der eigenen Haut zu spüren. Außerdem habe ich mit SchülerInnen meiner alten Schule über deren aktuelle Ängste und Probleme gesprochen. Durch die Gespräche ist mir noch einmal deutlich geworden, wie viele Jugendliche sich tatsächlich durch die in den sozialen Netzwerken vermittelten Schönheitsideale unter Druck gesetzt fühlen und sich ständig mit anderen vergleichen. Diese Erkenntnis habe ich als Anlass genommen, dass Sarah – anders als Bastian – als zunächst gesundes Mädchen Opfer von Cyber-Mobbing wird und damit in die Gruppe der Astronauten „hineinkippt“. In diese Situation können sich hoffentlich auch viele „gesunde“ Mädels und Jungs hineinfühlen. Ich möchte mit Sarah ein Stück weit für einen verantwortungsbewussten und respektvollen Umgang mit und in den sozialen Medien sensibilisieren. Die achtlos und aus einer Langeweile heraus verfassten Kommentare unter Videos oder Bildern betreffen eben nicht nur das Video, sondern vor allem den Menschen dahinter. So etwas wie Sarah kann jedem und jeder passieren. Genau deshalb ist die Gruppe der Astronauten auch so bunt gemischt. Sie haben neben ihren ganz individuellen „Krankheiten“ auch „ganz normale“ Probleme eines „gesunden“ Jugendlichen, wie etwa die erste große Liebe und Selbstfindung.
LESEPUNKTE: Am Anfang erhält der Leser/die Leserin den Eindruck, Tim habe ein Auge auf Sarah geworfen und gleichzeitig sind von Anfang an einige Hinweise auf seine Homosexualität versteckt...
Popescu: Für mich ist Tim wie Severus Snape aus Harry Potter: Am Anfang kann man ihn überhaupt nicht ausstehen, aber dann lernt man ihn mehr und mehr wertzuschätzen und durchblickt immer mehr die Beweggründe für seine schnappige Art und sein Handeln. Er schlägt sich selbst zum Beispiel als Kapitän des Segelschiffes vor, nicht etwa, um sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern um die Aufmerksamkeit von Sarah wegzulenken, obwohl er -- und das weiß er auch selbst -- eine „Flasche“ als Kapitän abgeben würde. Er stellt sich hier schützend vor Sarah aus einem schlechten Gewissen heraus, weil er das Video kennt, in dem sie bloßgestellt wird und er nichts dagegen getan hat. Es ist doch so: Wenn ich ein lustiges Video zugeschickt bekomme, lache ich doch auch darüber und schicke es vielleicht sogar noch an andere Personen weiter ohne groß weiter darüber nachzudenken. Erst wenn man eine persönliche Geschichte dazu kennenlernt, fängt man an, das Video und seine eigene Reaktion darauf zu hinterfragen. Vielleicht überlegt nach dem Lesen von „Mein Sommer auf dem Mond“ der Ein oder Andere etwas länger, bevor er gemeine oder gehässige Kommentare unter ein Video schreibt.
LESEPUNKTE: Das wäre in jedem Fall wünschenswert. Eines fällt in „Mein Sommer auf dem Mond“ auf: Die Geschichte um Harry Potter und seine Freunde spielt im Buch eine wichtige Rolle. Warum haben Sie Hogwarts und Harry Potter als wichtiges Motiv für das Buch ausgewählt?
Popescu: Die Geschichte um Harry Potter funktioniert in „Mein Sommer auf dem Mond“ wie ein Eisbrecher, wenn einer der beiden eine Referenz zum Buch reinwirft und der andere darauf einsteigt, sind die beiden in ihrem Element. Und ich glaube, dass Bastian in seinem Leben, genau wie ich, häufig die Erfahrungen gemacht hat, dass Harry-Potter-Insider nicht verstanden werden und dann kommt aber Fritzi und kann ihm bei diesem „Verbal-Ping-Pong“ das Wasser reichen. Das trägt natürlich absolut dazu bei, dass die beiden sich ineinander „vergucken“.
LESEPUNKTE: In welches der vier Hogwarts-Häuser würden Sie sich denn selbst einordnen?
Popescu: Das muss ich gar nicht, das hat J. K. Rowling bereits für mich getan (lacht). Ich habe den Pottermore-Test gemacht und bin den Hufflepuffs zugeordnet worden, was mir sehr viel bedeutet.
LESEPUNKTE: „Mein Sommer auf dem Mond“ spielt ja nicht, wie der Titel vielleicht zunächst erwarten lässt auf dem Mond, sondern auf Rügen. Mit der Insel verbinden die vier Astronauten einerseits die Aufgabe der Selbstkonfrontation und andererseits Werte wie Freundschaft und Zusammenhalt. Existiert in Ihrem Leben auch einen Ort, der widersprüchliche Gefühle weckt?
Popescu: Mein Zuhause des Herzens ist der Gardasee, dort habe ich die schönsten Urlaube meines Lebens verbracht und ausgerechnet dort hatte ich meine erste Panikattacke, bei der man damals noch dachte, es sei Sonnenstich. Am Gardasee waren wir 17 Jahre in Folge und nach dieser eher tragischen Erfahrung wollte ich dort nicht mehr hin, weil dort für mich das ganze Drama begonnen hatte. Nach einigen Jahren war ich dann so weit und wollte noch einmal in das Restaurant zurück, in dem die erste Panikattacke kam - jetzt mit dem Wissen, was ich tun kann, wenn sie kommt und ich sie begrüßen kann wie einen alten Freund. Es ist den ganzen Urlaub über nichts passiert und das war so ein Moment, in dem ich gemerkt habe, dass ich Fortschritte mache. "Mein Sommer auf dem Mond" wollte ich dann nicht schon wieder, wie mein erstes Jugendbuch, in Italien spielen lassen. Stattdessen spielt "Mein Sommer auf dem Mond" auf Rügen, worin einerseits eine gewisse Enge und Isoliertheit durch die Insel und andererseits eine beruhigende Weite durch das umliegende Meer zum Ausdruck kommt.
LESEPUNKTE: Apropos Meer: Gerade durch das Segeln erfahren die vier Astronauten das Gefühl von Freiheit, es spielt für sie und ihren Aufenthalt auf Rügen eine sehr wichtige Rolle. Hat das Segeln für Sie persönlich auch eine Bedeutung?
Popescu: In der fünften Klasse habe ich den Segelschein gemacht, allerdings bin ich mir unsicher, ob ich uns heute noch sicher an Land bringen könnte (lacht). Wir sind damals viel auf dem Chiemsee gewesen und selbst wenn kein Wind war, saßen wir einfach zu viert auf den Booten und haben angefangen uns gegenseitig Geschichten und Anekdoten zu erzählen. Und ich hatte den Eindruck, dass ich meine KlassenkameradInnen in diesen Stunden auf dem Boot besser kennengelernt habe, als in all den Jahren zuvor. Gleichzeitig ist das Segeln für mich Sinnbild dafür, dass jeder eine bestimmte Aufgabe, eine bestimmte Fähigkeit hat, von der man vielleicht vorher gar nicht wusste, dass man darin gut ist - was wiederrum ganz toll ist für die Stärkung des Selbstbewusstseins. Auch Sarah wächst ja beim Segeln über sich hinaus.
LESEPUNKTE: Was möchten Sie den LeserInnen mit Ihrem Buch noch mitgeben?
Popescu: Es sind vor Allem zwei Dinge, die ich den Jugendlichen mitgeben möchte: Auf der einen Seite möchte ich den LeserInnen vermitteln, dass sie nicht alleine sind. Es gibt ganz viele "Astronauten" und wenn man sich öffnet, ist man weniger allein - ein schwerer Schritt, das weiß ich aus eigener Erfahrung, aber wenn man ihn gewagt hat, wird es leichter. Auf der anderen Seite möchte ich die LeserInnen zu etwas mehr Achtsamkeit anregen, dazu, aufeinander zu achten und verständnis- und rücksichtsvoll miteinander umzugehen.
LESEPUNKTE: Sarah hat durch das Cyber-Mobbing ja genau das Gegenteil eines respektvollen Umgangs erlebt. Wie kann man Ihrer Meinung nach für ein sensibles und reflektiertes Miteinander "im Netz" sensibilisieren?
Popescu: Ich bin der festen Überzeugung, dass es einen "Internet-Kurs" in der Schule braucht, sowohl für SchülerInnen als auch für Eltern, damit sich alle der Konsequenzen von unreflektiertem und unüberlegtem Agieren auf sozialen Netzwerken bewusstwerden. Die Jugendlichen sollten strukturiert an das Kommentieren im Internet und Nettiquette herangeführt werden. Ihnen sollte ein Feingefühl mitgegeben und verdeutlicht werden, dass auch im Internet immer Menschen "dahinter" stecken. So könnte man beispielsweise auch Betroffene von Cyber-Mobbing in Schulen holen, um eben auch bei allen anderen eine Betroffenheit hervorzurufen. Auch der Umgang mit eigenen Bildern erfolgt oftmals viel zu unbeschwert. Das Internet vergisst nie und ein verantwortungsbewusster Umgang mit den Möglichkeiten des Internet sollte den Jugendlichen so früh wie möglich vermittelt werden. Cyber-Mobbing wie auch psychische Erkrankungen sind einfach Themen, die viele Menschen betreffen und vor denen man nicht die Augen verschießen darf und jeder hat irgendwie etwas dazu zu sagen...
LESEPUNKTE: Ein sehr gelungenes Schlusswort! Vielen lieben Dank für das Interview.
Empfohlene Zitierweise
Interview mit Adriana Popescu (Julia Wagener und Jana Rüttgers). In: LESEPUNKTE 2018, URL: https://www.lesepunkte.de/interview/adriana-popescu-im-interview-mit-den-lesepunkten/Bitte setzt beim Zitieren dieses Beitrags hinter der URL-Angabe in runden Klammern das Datum Eures letzten Besuchs dieser Online-Adresse.