Was SchülerInnen mit ein wenig Unterstützung können. Bericht über das Literaturfest “5 Jahre Schreibkunst”
Was SchülerInnen mit ein wenig Unterstützung können. Bericht über das Literaturfest “5 Jahre Schreibkunst”
- ein Bericht von Annika Mühlhäuser, Schülerin der Lichtenberg Schule Darmstadt -
Am 26. Februar 2019 lud das Programm “SchreibKunst” des Hessischen Kultusministeriums in die Max-Beckmann-Schule in Frankfurt ein. Anlass war die im Oktober 2018 auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellte und gemeinsam verfasste Schreibkunst-Anthologie “Freiheit sucht Weg“ – übrigens schon das zweite gemeinsam von Schülern und Autoren verfasste und in der Edition Faust publizierte Gesamtkunstwerk im Rahmen der Nachwuchsförderung „Literatur von und für Jugendliche“.
Bei diesem fünfjährigen Jubiläum präsentierten einige der Nachwuchsautorinnen und -autoren ihre Werke, anmoderiert durch das Poetry Slam Duo “Team Scheller”.
Die Herausgeberin auf Seiten des Hessischen Kultusministeriums, Frau Dr. Erika Schellenberger-Diederich sowie Thomas Hettche, einer der Autoren, die die Schüler inspiriert und unterstützt haben, gaben dem Publikum einen Einblick in ihre Erfahrungen mit dem Projekt und in die Arbeit mit den SchülerInnen.
Die Veranstaltung begann am späten Nachmittag mit einem Empfang in einem im Stil der Gründerzeit belassenen Saal der Schule. Im Raum stand ein Flügel, dessen Bespielung im Verlauf des Abends für eine angenehme musikalische Begleitung sorgte.
Nachdem sich alle eingefunden hatten, wurde die Bühne mit einem Kronleuchter erhellt und Dominique Macri sowie Dalibor Markovic alias „Team Scheller“ informierten kurz über Zweck und weiteren Verlauf des Abends.
Auch der poetische Auftakt erfolgte durch das „Team Scheller“. Gemeinsam präsentierten Dominique Macri und Dalibor Markovic ihren wohl erfolgreichsten Slam “Viele”. Mit lautmalerischen Mitteln und Kinderreimen im Vortrag an der Flüchtlingspolitik und unserem Konsumverhalten Kritik übend, gaben sie eine präzise und mitreißende Vorstellung davon, wie Gesellschaftskritik gekonnt lyrisch umgesetzt werden kann. Wer diesen Vortrag hört, wird sich einmal mehr dessen bewusst, dass wir uns oft mit Unwichtigem wie unserer Konsumsucht vor der grausamen Realität, die andere (er)leben müssen, ablenken, statt uns zu fragen, ob ein “zu viel” bei uns nicht ein “zu wenig” bei anderen bedeutet.
Im Anschluss trat Schulleiter Harald Stripp ans Mikrophon und hielt eine prägnante Rede über die Bedeutung und Vielfalt von Sprachen. Stripp, der sich an seiner Schule schon lange dafür einsetzt, dass ausländischen Schülerinnen und Schülern der Weg zum Abitur geöffnet wird, erklärte eindrücklich, dass die Grenzen dessen, was wir von unseren Gedanken und Gefühlen ausdrücken können, in unseren sprachlichen Begrenzungen wiederzufinden sind. Schreiben, so Stripp, sei dabei Selbstdarstellung, schöpferische Tätigkeit, ein Weg, sich anderen zu öffnen.
Dr. Erika Schellenberger-Diederich, Literaturkoordinatorin des Hessischen Kultusministeriums, leitete schließlich zur Buchvorstellung über.
Nach dem ersten Buch “Der Gurkenmann und andere Geschichten”, welches SchülerInnen unter Anleitung verfassten, ist nun die Anthologie “Mal ist da diese Steinschicht über meinem Herzen, mal ist sie da nicht - oder: Freiheit sucht Weg” entstanden. Schellenberger-Diederich bedankte sich bei anwesenden Sponsoren, Lehrkräften und Teilnehmern aller vier Schulen aus ganz Hessen, die an der Entstehung beteiligt waren.
Nun begannen die eigentlichen Vorstellungen. Als erstes kamen ein Dutzend (von insgesamt 30 SchreibKunst-)SchülerInnen der Lichtenbergschule Darmstadt auf die Bühne. Sie präsentierten Gedichte wie “Der Brüllaffe” und „Der Pinguin“ (Vivien Ruby), „Der Löwe“ (Clara Drewelies) oder “Das Chamäleon” (Yann Hendrickx), die erstaunlich gelungen politisch motivierte Kritik in einigen wenigen Versen behandelten. Auch Wortcollagen, die im Buch farbig abgedruckt sind, wurden über einen Beamer gezeigt und vorgestellt, darunter zum Beispiel Malou Meyers Collage “Leben Sie sich frei!”. Die Collagen bestanden – angeregt von den Wortcollagen der Literaturnobelpreis- und Ovid-Exil-Preisträgerin Herta Müller - aus einzeln aus Magazinen ausgeschnittenen Wörtern, die in neuem Kontext zusammengefügt wurden.
Es folgte noch Anna Pauline Gutzeits Geschichte “Maylas Morgen”, die bereits mit dem Luo Literaturpreis ausgezeichnet worden war und alle ZuhörerInnen für einige Minuten in die Situation eines Flüchtlingsmädchens eintauchen ließ. Daran anknüpfend stellten Malou Meyer und Mina Kundakci das Sachbuch “Auf der Flucht” vor, das von dem deutsch-ägyptischen Schriftsteller Karim El Gawhary und der Journalistin Mathilde Schwabeneder verfasst wurde. Karim El Gawhary hatte die Lichtenbergschule im September 2018 besucht und über 400 Schüler mit authentisch recherchierten Fluchtgeschichten von Menschen beiderseits des Mittelmeers berührt. Malou und Mina trugen einige davon vor und appellierten dazu, genauer hinzuschauen und nicht die Augen vor den Gründen zu verschließen, die Menschen die gefährliche Flucht über das Mittelmeer antreten lassen.
Während des Abends bekamen die ZuhörerInnen eine weite Bandbreite von Gedichten, Kurzprosa, Geschichten und Vorstellungen präsentiert - und das von jungen SchülerInnenn bis zu Studierenden, von AnfängerInnen und Profis aus mehreren hessischen Städten.
Gerade diese Vielfalt, der Wechsel von Titeln wie “Mein Gott wohnt hier nicht” und „Entwurf“ (Nicolai Koch) bis zu “Die Glücksmaschine” (ein LuO-Literaturpreisträgertext von Julius Emmeluth), machte den Abend – zusammen mit der gut auf die Beiträge abgestimmten Präsentation auf riesiger Leinwand - zu einem synästhetischen Erlebnis, das allen in Erinnerung bleiben wird. Dazu trug auch die auf der Bühne installierte Schaufensterdekoration einer Marburger Richtsberg-Gesamtschülerin zur Buchpräsentation bei. Ebenso wie die einfühlsame Moderation durch das „Team Scheller“, das auf besonderen Wunsch einer erkrankten Schülerin zwei Gedichte („Alle“ und „Wie Tag und Nacht“ - von Fàtima Haji) professionell präsentierte.
Doch eine Vorstellung schockierte OrganisatorInnen und Gäste gleichermaßen. Ungeplant lief ein Schüler auf die Bühne, zündete sich eine Zigarette an und begann mitten auf der Bühne zu rauchen. Alle paar Züge sagte er einen Vers auf, aschte auf den Boden ab und entfernte sich erst wieder, als eine Lehrerin ihn nach ein paar Minuten von der Bühne holte. Es hatte etwas Komisches an sich, aus der letzten Reihe in die anderen fragenden Gesichter zu schauen und in diesen abwechselnd “Das macht er doch jetzt nicht wirklich”, “Wer hat ihm denn das erlaubt?” und “Also, das ist wahre Kunst” lesen zu können.
Der Abschluss erfolgte durch eine Lesung des Autors und Honorarprofessors an der Berliner Humboldt-Universität, Thomas Hettche, der den Essay „Echo“ aus seinem Werk “Totenberg” las und darin Einblick gab, wie er zur Literatur, zum Schreiben gekommen sei. Zum Tee in die private Bibliothek seiner Lehrerin eingeladen, bekam er einen Zugang zu Büchern, die er über sein Elternhaus nicht kennengelernt hätte. Mit immer neuen Büchern von Autoren wie Hauptmann, Kafka oder Tolstoi in der Tasche, besuchte er sie fortan regelmäßig und fand so seine Passion. Allein diese Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, junge Menschen zu fördern, und ihnen den Weg in die Welt der Literatur zu zeigen. Markant auch sein aus der Literatur abgeleitete Credo, Humanität sei das Echo der Liebe.
Nach Ende der Veranstaltung gab es noch ein Buffet für die Gäste und die Möglichkeit, sich miteinander auszutauschen.
Das einzige, was ich den VeranstalterInnen als Kritikpunkt zurückmelden würde, ist, dass eine kleine Pause zwischen den Darbietungen die Aufnahmefähigkeit aller verbessert hätte... Die feierliche Veranstaltung wäre zudem besser an einem Freitagabend platziert worden, um die Woche beschwingt ausklingen lassen zu können.
Für mich persönlich war der Abend sowohl erkenntnisreich als auch erstaunlich. Ich hätte, wenn ich denn ganz ehrlich bin, nicht erwartet, dass Schülerinnen und Schüler so aufrüttelnde Geschichten und nachdenkliche Gedichte schreiben würden.
Gerade die Mühe, die offensichtlich aufwändige Gestaltung des Abends, die ansprechende Zusammenstellung des Buches – auch mit Texten aus einer Kreativwerkstatt für SchülerInnen, Studierende und Lehrkräfte zu französischen Graphiken in der Sonderausstellung „Eleganz und Poesie“ des Hessischen Landesmuseums Darmstadt -, beeindruckte mich.
Ich bin positiv überrascht, zu sehen, was das gesamte Team des “SchreibKunst” Projektes an unserer Schule und hessenweit auf die Beine gestellt hat.
Vom Projekt zum fertigen Buch - Geschichte
Sommer 2018
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Große Dinge kündigen sich an!
Das Verlagsprospekt der Edition Faust mit der Ankündigung der SchreibKunstpublikation ist da! Wie aufregend zu sehen, in welcher "Autorengesellschaft" wir uns befinden!
Wir sind sehr gespannt auf das fertige Buch!
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10.Oktober -14.Oktober 2018
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Jetzt schon zum "Anfassen" auf der Frankfurter Buchmesse 2018
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13.10.2018
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Buchvorstellung der SchreibKunstanthologie mit Schüler-Autoren Lesung auf der Buchmesse! Der Ablauf der Vorstellung kann hier eingesehen werden. Die Präsentation hingegen darf hier (nochmal) angesehen werden.
Seit dem 15.Oktober 2018 ist das Buch "Mal ist da eine Steinschicht über meinem Herzen, mal ist sie da nicht oder Freiheit sucht Weg" überall erhältlich.
Unser Buch:
Freiheit sucht Weg
Mal ist da eine Steinschicht über meinem Herzen, mal ist sie da nicht
SchreibKunst - Schüler schreiben mit Autoren
Herausgegeben von Erika Schellenberger - Diederich
Etwa 250 Seiten. Mit farbigen Abbildungen
Broschur. € 18,-
ISBN: 978-3-945400-58-6
von Annika Mühlhäuser, Schülerin der Lichtenberg Schule Darmstadt
Empfohlene Zitierweise
Bericht von Annika Mühlhäuser: Was SchülerInnen mit ein wenig Unterstützung können. Bericht über das Literaturfest “5 Jahre Schreibkunst”. In: LESEPUNKTE 2019, https://www.lesepunkte.de/projekt/was-schuelerinnen-mit-ein-wenig-unterstuetzung-koennen-bericht-ueber-das-literaturfest-5-jahre-schreibkunstBitte setzt hinter die URL-Angabe in runden Klammern das Datum Eures letzten Besuchs dieser Online-Adresse.