Gavriel Savit: Anna und der Schwalbenmann

Lesepunkte: 3 Punkte
AutorIn: Gavriel Savit
Titel: Anna und der Schwalbenmann
Verlag: cbt, 2016 ISBN: 978-3-570-16404-4
Seiten: 271 Preis: 16,99 Euro
Altersempfehlung: ab 14 Jahren

Rezensiert von: Marc-Niclas Bayer, 10. Klasse [Gymnasium Bad Aibling; Betreut von: Lena Schmidt]

Anna ist 7 Jahre und Jüdin. Sie sitzt in Krakau zur Zeit des Holocaust (1939) allein auf der Straße, nachdem die Gestapo ihren Vater, einen Sprachen-Professor von seinem Arbeitsplatz in ein Internierungslager gebracht hat. Ein fremder Mann bemerkt Anna und tröstet sie, indem er Vogellaute imitiert und eine Schwalbe anlockt.

Anna folgt vertrauensvoll dem „Schwalbenmann“ in die Wälder Polens und wird zu seiner Begleiterin.  Der Unbekannte übernimmt die Verantwortung für das Mädchen und vermittelt ihr unbedingt geltende Regeln, die ihr Überleben auf der Flucht vor dem 2. Weltkrieg sichern sollen. Auf ihrer Wanderschaft erklärt er in gleichnishaften Gesprächen Anna die Welt.

Zwischenzeitlich treffen sie den lebenslustigen RebHirschl, einen Juden, der Klarinette spielt und Alkohol liebt. Anna schließt Freundschaft mit dem Musiker und verlangt - gegen den Willen des „Schwalbenmannes“ - dass dieser sie begleite.

Die drei geraten 1941, als Hitler das russisch besetzte Polen angreift, in die Frontkämpfe und erleben die Schrecken des Krieges hautnah, entdecken Massengräber und erleiden Hunger und Kälte.

Der Roman ist aus der Sicht der 7-jährigen Anna geschrieben, welche durch das Beherrschen zahlreicher Sprachen und auch durch ihr Verständnis und ihre Reife beeindruckt.

Über die Figur des Schwalbenmannes, der sie bis zum Ende der Geschichte begleitet, wird wenig erzählt, Vorgeschichte sowie Name und weitere Informationen lässt der Autor im Dunkeln. Diese schwer greifbare Person schwankt von pragmatisch und ernst bis mysteriös und unberechenbar gegen Ende des Buches. Auch bleibt unklar, warum er für Anna die Verantwortung übernimmt und Jahr für Jahr durch die polnischen Wälder zieht.

Die Welt zur Zeit des Krieges sowie die Zusammenhänge werden in Form von Dialogen zwischen Anna und dem Schwalbenmann sowie anhand vieler Metaphern und Personifikationen erklärt:

"Sie sehen aus wie junge Männer, oder? Aber das sind sie nicht. Die, die von Westen kommen - sie sind Wölfe. Und die, die von Osten kommen, sind Bären. Sie verkleiden sich als junge Männer, weil sie sich als Menschen leichter an Orten der Menschen bewegen können, auf Straßen und in Städten. [...] Die Wölfe und Bären mögen keine Menschen, und wenn sie einen Grund finden, dir wehzutun, dann werden sie es tun.“ (S.84f)

Diese Bilder vermitteln dem Leser ein bedrückendes Gefühl von Vertreibung und Überlebenskampf, ohne dass Kriegshandlungen zu brutal beschrieben werden. Die Sprache der beiden ist philosophisch und sprachgewandt, aber auch vage und schwer begreifbar. Fast ständig muss der Leser zwischen den Zeilen lesen und interpretieren.

War der Handlungszusammenhang des Buches überzeugend? Erst ab dem letzten Drittel der Erzählung wird es etwas spannender und der Leser möchte wissen, wie es mit der Wanderschaft weitergeht, als sich der Musiker zu ihnen gesellt. Allerdings lässt die Handlung viele Fragen offen, was aber zum Thema „Kriegszeiten“ passt, da die Menschen oft unwissend waren, was als nächstes passiert oder wo ihre Angehörigen waren.

Worauf der Roman letztlich abzielt bleibt offen, aber vielleicht ist der Roman ein Beispiel dafür, dass Menschen die Hoffnung in schweren Zeiten trotz Flucht, Kälte und Angst nicht verlieren sollten:

„Menschen sind die größte Hoffnung des Menschen zu überleben.“ (S.78)

Empfehlen würde ich die Geschichte eher älteren Jugendlichen, die Literatur über den Holocaust wie zum Beispiel das „Tagebuch der Anne Frank“ schon kennen oder poetische Bücher mit schöner Aufmachung mögen. Für Action-Liebhaber oder Spannungssuchende ist es nicht geeignet.

Insgesamt gebe ich dem Buch daher 3 von 5 Lesepunkten.

Empfohlene Zitierweise

Marc-Niclas Bayer, Rezension von: Gavriel Savit: Anna und der Schwalbenmann, In: LESEPUNKTE, URL: https://www.lesepunkte.de/rezensionen/gavriel-savit-anna-und-der-schwalbenmann/
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