Die Geschichte einer ,grenzenlosen' Freundschaft
von Sophia Molochidis und Margarita María Lüdtke Miró
„Vielleicht gelang es den Wörtern und mir, Saídas Tränen zu trocknen […].“
Eine Gastrezension der ALEKI les(e)bar
Als das marokkanische Mädchen Saída neu in die Schulklasse der namenlosen Protagonistin kommt, ist es im wahrsten Sinne des Wortes ‚sprachlos'. Doch die Ich-Erzählerin beschließt der bedrückenden Stille, die Saída umgibt, ein Ende zu setzen, indem sie sich auf die Suche nach deren verlorenen Wörtern begibt.
Susana Gómez Redondos und Sonja Wimmers poetisches Bilderbuch „Am Tag, als Saída zu uns kam“ erzählt von der Entwicklung einer tiefen Freundschaft zweier Mädchen aus unterschiedlichen Kulturen. Durch die unvoreingenommenen Augen eines Kindes erhält die LeserIn Einsicht in eine Welt, in der ‚Anderssein‘ als Reichtum erlebt wird. Durch Wimmers expressive Illustrationen werden die LeserInnen unmittelbar in den Bann des zauberhaften Miteinanders der beiden Hauptfiguren gezogen. Bild und Text ergeben ein sich ergänzendes harmonisches Ensemble, welches die LeserInnen auf ihrer Entdeckungsreise durch das Werk begleitet.
Redondo und Wimmer greifen mit ihrem Werk die Aktualität des Weltgeschehens auf. Viele Menschen sehen sich gezwungen ihre Heimat aufgrund von Armut, Krieg, politischer Verfolgung etc. zu verlassen. Die Realität der Flüchtlinge ist von Entwurzelung und einer ungewissen Zukunft geprägt. „An dem Tag als Saída zu uns kam“ wird Teil einer Kinder- und Jugendliteratur, die sich dem Sujet der Migration und des Kulturkontakts widmet. Als weitere Beispiele können „Bestimmt wird alles gut“ von Kirsten Boie und Jan Birck als auch „Vielleicht dürfen wir bleiben“ von Ingeborg Kringeland Hald genannt werden.
Der Wechsel der Jahreszeiten reicht vom vereisten Winter bei Saídas Ankunft bis hin zum Frühling, in dem nicht nur die Bäume, sondern auch in Saídas Augen die Fröhlichkeit wieder aufblüht. Die Zeichnungen wirken wie ein ‚Stimmungsring‘, der das Gefühlserleben der Protagonistinnen in ihren unterschiedlichen Facetten widerspiegelt. Zu Beginn unterstreichen grau-blaue Töne die Traurigkeit und Unsicherheit Saídas angesichts der fremden Umgebung. Eine bunte Farbgebung setzt ein, sobald das Sprachabenteuer der Freundinnen beginnt: Die beiden Kinder bringen sich spielerisch gegenseitig ihre Sprachen bei. Die Autorinnen verdeutlichen die zunehmend vertraute Bindung anhand der Verwendung von intensiveren Farbnuancen.
Surreal anmutende Elemente der Bilder lassen hingegen die assoziative Denkweise der Erzählerin erkennen. So versucht die Protagonistin Zugang zu Saída zu erlangen, indem sie eine Schublade an Saídas überdimensional groß gestalteten Kopf öffnet – und damit das ‚Schubladendenken‘ überwindet. Wimmer vermag es, die kindliche Leichtigkeit einzufangen, mit welcher der Sprachaustausch verläuft. Als schwerelose Blüten einer Pusteblume und als flatternde Schmetterlinge schweben einzelne Buchstaben dem Lesenden entgegen. An einer Wäscheleine wehend und in Saídas wallendem Haar eingebettet, tummeln sich arabische und deutsche Wörter in Laut und Schrift. Nicht nur hier schlägt die variierende Typographie Brücken zwischen der bildlichen und textuellen Ebene. Diese Kunst beflügelt die Phantasie der jungen LeserInnen und veranschaulicht die bereichernde Sprachvielfalt in all ihren „Formen, Klängen und Größen“.
Die beiden Mädchen überwinden die Sprachbarrieren mit der Erkenntnis, dass sich hinter verschiedenen Bezeichnungen ein und dasselbe verbirgt. Das Spiel mit den Wörtern hilft Saída, eine Heimat in der neuen Sprache zu entdecken. Die von den Freundinnen vorgelebte Interkulturalität ist ein Appell für Offenheit gegenüber dem Unbekannten und zeigt, dass und wie sich das Fremde zum Vertrauten wandeln kann.